Was kann ich gegen das Chaos tun? Was ich als Ordnungsexpertin gelernt habe
- Anna-Lena von Wolff
- 5. Jan. 2023
- 5 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 14. Okt. 2024

Die Tage sind lang, aber die Jahre sind kurz, oder wie war das?
Es stimmt auf jeden Fall. Schon wieder ist ein Jahr vorbei.
2022 war das erste Jahr, in dem ich komplett selbständig als Ordnungscoach unterwegs war. 2021 hatte ich angefangen, zuerst bei Freuden und Verwandten und schließlich auch bei Kunden. Und die meisten kommen genau mit der Frage "Was kann ich gegen das Chaos tun?" zu mir, bzw. mit der Frage, warum sie es nicht schaffen, das Chaos hinter sich zu lassen.
Solo-Selbstständig
Der große Push für 2022 kam noch in 2021: Die HNA (unsere regionale Tageszeitung) hat einen größeren Artikel über Deine klare Linie veröffentlicht und so auf mich aufmerksam gemacht. Da ich den Text online nicht finden kann, habe ich ihn hier hinterlegt.
Plötzlich wusste ich vor lauter Kunden kaum, wie ich das alles schaffen soll, aber nach und nach hat es sich eingependelt.
Einige Kunden wollten nur einen einzelnen Termin, andere sind länger dabei geblieben. Zu einer meiner ersten Kundinnen aus 2022 fahre ich nächste Woche wieder. Über das Jahr haben wir uns etwa alle 6-8 Wochen gesehen.
Insgesamt habe ich etwas für mich ganz wichtiges gelernt: Es gibt in Nordhessen genug Kunden für eine Ordnungsexpertin – da war ich mir vor der Gründung nicht so sicher. Das gibt mir Mut für die Zukunft.
Was kann ich gegen das Chaos tun?
Jeder meiner Kunden hat natürlich eine eigene Geschichte und eigene Ziele.
Trotzdem gibt es Gemeinsamkeiten, warum das Chaos gekommen ist und warum sie es nicht alleine wieder loswerden:
Scham
Als erstes höre ich oft eine Entschuldigung, wie schlimm es aussieht und dass ich hoffentlich nichts Schlechtes denke. Und diese Scham hat sie lange davon abgehalten, um Hilfe zu bitten. Natürlich ist es in vielen Wohnungen ziemlich chaotisch, aber es ist mein Beruf, mich darum zu kümmern, dass es besser wird. Und es ist meine persönliche Einstellung, das ohne Verurteilungen zu tun. Natürlich verstehe ich nicht jede Entscheidung, die Kunden treffen, aber wenn ich das Gefühl habe, es ist für sie die richtige Entscheidung, hinterfrage ich es nicht weiter. (Ergänzung im Januar 2024: Mehr zum Thema Scham habeich hier geschrieben.)
Wissen
Viel Kunden haben schon diverse Aufräum-Methoden ausprobiert und sind in der Theorie wahre Profis. Einige hatten sogar schon professionelle Hilfe, mit der sie aber nicht zurecht gekommen sind (denn der richtige Coach muss auch zu einem passen). Es liegt also nicht am Wissen, dass sie nicht weiter kommen, sondern an der Umsetzung. Was fehlt ist nicht nur die konkrete Motivation, jetzt anzufangen und nicht nach 10 Minuten entnervt aufzuhören. Es fehlt vor allem jemand, der sie auch mit den schwierigen Fragen konfrontiert, die einen wirklich weiter bringen (und Denkanstöße für Lösungen gibt) und dafür sorgt, auf dem richtigen Weg zu bleiben.
Überforderung
Die meisten meiner Kunden sind eigentlich „normal“ ordentliche Menschen: Man sieht ihren Wohnungen an, dass dort jemand lebt. Dann passiert etwas, dass die normale Aufräum-Routine aus dem Ruder bringt: Eine Krankheit, ein Angehöriger muss gepflegt werden, ein Kind wird geboren, der Arbeitsplatz geht verloren oder was auch immer. Aufräumen steht jedenfalls ziemlich weit hinten auf der Prioritätenliste und dann geht es ganz schnell, dass einem das Chaos, manchmal wortwörtlich, über den Kopf wächst. Auch wenn eigentlich wieder Zeit ist, sich darum zu kümmern, scheint der Chaos-Berg unbezwingbar. Ich helfe dann dabei, den Berg zu einem kleinen Hügel abzutragen und für die aktuelle Lebenssituation passende Routinen zu schaffen, mit denen er nicht wieder wächst.

Erwartung vs. Realität als Ordnungcoach
Ordnung als finanzielle Frage
Eins-zu-eins-Coaching ist nicht billig, das weiß ich. Es kamen auch immer wieder Absagen wegen der Kosten, manche davon voll mit Vorwürfen und sogar Beschimpfungen. Es tut mir immer leid, jemandem deswegen nicht helfen zu können, aber als Solo-Selbständige geht es mir natürlich auch darum, mit meiner Arbeit meinen Lebensunterhalt zu bestreiten.
Und jeder Selbständige weiß, dass von dem hohen Stundensatz am Ende erschreckend wenig übrig bleibt, vor allem wenn man Themen wie die Altersvorsorge nicht einfach ignoriert.
Diesen Blog gibt es unter anderem deswegen, weil ich auch helfen möchte, ohne dass Geld im Spiel ist. Und ich habe mich an der ersten Pro Bono-Aktion der Ordnungswelt beteiligt, in der Ordnungsexperten aus ganz Deutschland ihre Zeit an Menschen spenden, die diese Hilfe verdient haben, sie sich aber nicht leisten können. Ich finde das eine tolle Idee und werde auch in Zukunft wieder dabei sein!
Viel Fahrerei
Viele meiner Kunden kommen aus dem weiteren Umland von Kassel und ich war zwischen Homberg, Bad Arolsen, Göttingen und Eschwege in alle Himmelsrichtungen unterwegs. Damit hatte ich so nicht gerechnet, sondern eher gedacht, dass ich vor allem Kunden aus der Stadt Kassel und dem Landkreis haben werde.
Und das für mich als Ungern-Autofahrerin.
Mittlerweile macht das Fahren mir nicht mehr viel aus, auch wenn ich nach einem längeren Termin genau so erschöpft bin wie meine Kunden. Ich nehme für die Rückfahrt einen Snack mit, mache einen Podcast an und versuche über Landstraße zu fahren und durch die Autoscheibe ein wenig die schöne nordhessische Landschaft zu genießen.

Meine Pläne für 2023
Aus der Fahrerei habe ich noch etwas gelernt: Ich möchte als Ordnungsexpertin meinen Lebensunterhalt verdienen. Gleichzeitig möchte ich aber nicht „selbst und ständig“ arbeiten, sondern auch Zeit für meine Familie und für mich haben. Das ist schließlich auch etwas, wobei ich meinen Kunden helfe. In der Realität heißt das, dass ich pro Tag nur einen Kundentermin machen kann, was das Einkommenspotenzial natürlich begrenzt.
Deswegen arbeite ich an Möglichkeiten, mein Wissen nicht nur direkt vor Ort und eins zu eins anzubieten, sondern auch online. Besonders gefallen mir dabei Modelle, bei denen ich meine Kunden trotzdem „live“ mit an die Hand nehme und bei denen durch eine feste Gruppe gemeinsame Motivation entsteht.
Für mich hat das den Vorteil, dass ich mehr Kunden erreichen kann, für die Kunden wird es dadurch günstiger.
Ich bin gespannt, wie es in diese Richtung weiter geht.
Und sonst?
Privat ist natürlich auch eine Menge passiert.
Insgesamt ist es mein großes Thema, für mich und meine Bedürfnisse einzustehen. In den Jahren als Mutter kleiner Kinder bin ich selber irgendwie immer weiter verschwunden – ich denke, das geht nicht nur mir so. Jetzt sind sie größer und ich schaffe mir nach und nach wieder mehr Raum für mich.
Auch deswegen ist mir das Thema Ordnung so wichtig. Als Familie gehört es einfach dazu, sich darum kümmern zu müssen. Je einfacher das funktioniert, umso mehr Zeit und Energie bleiben für die Dinge die mir wichtig sind.
In dem Sinne wünsche ich dir und mir ein neues Jahr mit viel Freiraum für unsere Träume.
PS: Die Bilder in diesem Beitrag habe ich im Laufe des Jahres selber gemalt.
Dieser Beitrag wurde zuletzt am 10.10.2024 überarbeitet.
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