Keine Zeit für Ordnung ist nicht das Problem

Keine Zeit ist nicht das (Ordnungs-)Problem - das zu sagen ist provokant, ich weiß.
Schließlich wird „keine Zeit“ ständig genannt, wenn es um Gründe geht, warum es nicht ordentlicher oder besser organisiert ist.
Du hast einfach nicht genug Zeit für all die Dinge, die wichtig wären. Und wenn du nur endlich genug Zeit hättest, sähe es natürlich bei dir Zuhause ganz anders aus.
Zu viel zu tun kann das (Ordnungs-)problem sein
Und eins ist klar: Viele von uns haben viel zu tun. Oft sogar viel zu viel für einen einzelnen Menschen. Das leugne ich nicht.
Dazu und warum ich den Spruch „Wir haben alle dieselben 24 Stunden“ ziemlich blödsinnig finde gleich mehr.
Ablenkungen als Zeitfresser
Zunächst aber ein kleiner, aber unbequemer Einschub:
Viele Menschen haben viel mehr Zeit, als ihnen bewusst ist, verbringen sie aber nicht sinnstiftend. Damit meine ich nicht Pausen oder Tätigkeiten, die dir Spaß machen. Aber wie oft greifst du zwischendurch zum Handy, scrollst durch soziale Medien oder verlierst dich in unwichtigen Kleinigkeiten und schon sind ein, zwei Stunden vergangen? Das Gehirn belohnt schnelle, einfache Ablenkungen, aber sie hinterlassen zu Recht das Gefühl, nichts wirklich erledigt zu haben.
Wenn das für dich zutrifft, ist das ein Ansatz auf dem Weg zu mehr Zeit.
Du kannst dir beim Thema Handy übrigens von Apps helfen lassen, die deine Zeit aus bestimmten Apps begrenzen und dich vor dem Öffnen fragen, ob das jetzt wirklich wichtig ist. Wenn es nicht wichtig ist, ist das eine Chance für dich, etwas mit deiner Zeit zu tun, mit dem du dich gut fühlst.
Wir haben alle die gleichen 24 Stunden - nicht
Aber zurück zum Spruch mit den 24 Stunden, der eben nicht stimmt.
Denn ein Milliardär verbringt seine Zeit nicht damit, auf den Bus zu warten oder das Klo zu putzen.
Oder weniger drastisch, aber nicht weniger wahr: Eine Mutter mit kleinen Kindern, ein pflegender Angehöriger oder eine Frau, die neben dem Job noch den gesamten Haushalt managt, hat zwar auf dem Papier die gleichen 24 Stunden, aber nicht dieselbe Zeit wie jemand, der sich nur um sich selbst kümmern muss.
Zeit ist nicht nur eine Frage der Minuten und Stunden, sondern der Verteilung von Verantwortung, Privilegien und strukturellen Bedingungen und der Satz ignoriert, wie ungleich Care-Arbeit verteilt ist und wie sehr sie Frauen belastet.
Diese gesellschaftlichen Hürden und auch deine individuelle Situation kannst du nicht von jetzt auf gleich ändern (du kannst aber über die Werte, die du deinen Kindern – Töchtern UND Söhnen – mitgibst, dazu beitragen, dass die Care-Arbeit langfristig gleicher verteilt wird).
Zeit für Ordnung finden
Was du jetzt tun kannst, ist das:
Du darfst anerkennen,
dass es nicht einfach ist.
dass du viel zu tun und viele Verpflichtungen hast.
dass die To-Do-Liste ziemlich sicher nie leer sein wird.
Du darfst aber auch erkennen, dass du Handlungsspielräume hast.
Damit meine ich nicht, dass du die wenigen Minuten in Ruhe mit deinem Kaffee auch noch dem Haushalt opfern sollst. Damit meine ich, dass du zumindest einen Teil der Zeit so gestalten kannst, dass es dein Leben weniger stressig macht.
Die Macht der Gedanken
Das fängt übrigens mit deinen Gedanken an.
Gedanken wie „ich habe keine Zeit“ oder „ich schaffe das sowieso nicht“ sorgen für genau zwei Dinge:
Sie führen dazu, dass du das wirklich glaubst.
Und sie ändern nichts an der Situation.
Im Gegenteil: Wenn du dich mental ständig am Fuße eines Mount Everest an Aufgaben siehst, zerstört das jede Motivation, die du vielleicht noch hattest. Schließlich wirst du sowieso niemals fertig werden.
Gleichzeitig werden die Schuldgefühle größer und der Gedanke, irgendwas tun zu müssen, damit der Berg an Aufgaben nicht über dir zusammen stürzt.
Wahrscheinlich sind panische Übersprungshandlungen oder wildes Multitasking aber nicht das, was dich tatsächlich weiter bringt. Oder du reagierst mit überforderter Erstarrung – das bringt dich aber auch nicht weiter.
Was bleibt, ist sind Gefühle von Stress, Überforderung oder Sinnlosigkeit.
Keine schöne Situation. Aber doch eine, in der sich viele Menschen jahrelang befinden.
Was also tun? Wie gesagt, du darfst anerkennen, dass es viel ist und auch Mitgefühl mit dir haben. Spannend ist, was dann kommt.
Wie würdest du reagieren?
Dazu ein kleines Gedankenspiel: Stell dir vor, dein Kind kommt zu dir und ist gestresst wegen der vielen Hausaufgaben, der Mathearbeit am Freitag und der Deutscharbeit nächste Woche.
Was tust du?
Die Hände in die Luft schmeißen und deinem Kind sagen, dass es das sowieso nie schafft und einfach nichts tun soll? Im raten, alles gleichzeitig zu machen? Oder ab sofort jeden Tag bis Mitternacht am Schreibtisch zu sitzen und zu lernen?
Wahrscheinlich (hoffentlich) keins davon.
Stattdessen sagst du so was wie: „Du hast Recht, das ist ganz schön viel. Ich bin mir aber sicher, du schaffst das.“ Und dann setzt ihr euch mit einem kleinen Snack oder einen Kakao hin, schaut den Stoff an. Überlegt, was das Kind schon gut kann und welche Dinge es nochmal üben muss. Entscheidet, was es alleine üben kann und wo du unterstützt. Ihr plant gemeinsam Zeiten zum Lernen und Zeiten für Entspannung. Und aus dem Mount Everest an Aufgaben ist ein konkreter Plan geworden.
Du kannst etwas tun
Und jetzt stell dir vor, du machst das für dich genau so.
Ein schockierender Gedanken, ich weiß.
Aber dich mit einem Getränk hinsetzen, überlegen was besonders wichtig ist, große Aufgaben in machbare Schritte unterteilen und Zeiten dafür einplanen, das kannst du auch.
Planung macht aus einer unbestimmten, bedrohlichen Masse etwas, dass du überblicken und Schritt für Schritt angehen kannst.
Es hat aber einen ziemlich entscheidenden Nachteil: Die Aufgaben werden dadurch nicht weniger und die dir zur Verfügung stehende Zeit nicht mehr.
Um das zu ändern, musst du bei den Aufgaben an sich ansetzen.
Zeitfresser: Ständige Verpflichtungen
Ein großer Faktor beim täglichen Stress ist das Gefühl ständiger Verpflichtung.
Dein Tag ist voll mit To Dos, die du nicht hinterfragst. Du erledigst Dinge, weil sie „gemacht werden müssen“, nicht weil du bewusst entschieden hast, dass sie wichtig sind.
Vielleicht hast du das Gefühl, immer verfügbar sein zu müssen, oder du misst deinen Wert daran, wie viel du geschafft hast. Diese inneren Glaubenssätze lassen es so wirken, als wäre dein Tag zu kurz.
Prefektionismus als Problem
Dazu kommst dann noch der Perfektionismus. Gerade Frauen neigen dazu, an sich selbst hohe Maßstäbe zu setzen. Die Wohnung soll immer ordentlich sein, dazu täglich frisch kochen, jederzeit für die Kinder da sein und im Job niemanden enttäuschen. Aber Perfektion ist ein Fass ohne Boden. Es gibt immer noch etwas, das verbessert werden könnte, du bist nie gut genug oder mit etwas wirklich fertig. Und genau das sorgt dafür, dass du dich überfordert fühlst.
Belastung durch Care-Arbeit
Und außerdem entsteht besonders Frauen eine zusätzliche Zeitfalle, weil ihnen systematisch mehr unbezahlte Arbeit zugeschoben wird. Care-Arbeit ist unsichtbar, wird aber erwartet. Wenn ein Mann seine Kinder betreut, wird das oft als lobenswerte Ausnahme gesehen. Wenn eine Frau das tut, ist es selbstverständlich und damit gefühlt keine erwähnenswerte Leistung, sondern etwas, dass nebenher erledigt wird. In Wirklichkeit sind es aber diese ständigen, unsichtbaren und undankbaren Aufgaben, die dich so erschöpfen.
Zeit bewusster nutzen
Wie kannst du also einen anderen Umgang mit Zeit entwickeln?
Ein erster Schritt ist, dir bewusst zu machen, dass Zeit nicht einfach weg ist. Sie wird von dir genutzt, bewusst oder unbewusst.
Deswegen darfst du dich fragen:
Wofür möchte ich meine Zeit wirklich verwenden?
Was bringt mir Freude, Energie oder Entlastung?
Und wo investiere ich Zeit in Dinge, die eigentlich gar nicht so wichtig sind?
Glaubenssätze hinterfragen
Außerdem darfst du deine Glaubenssätze hinterfragen.
Bin ich nur wertvoll, wenn ich viel schaffe?
Muss ich wirklich immer verfügbar sein?
Muss ich es immer alleine machen?
Muss ich alles perfekt erledigen?
Die richtige Antwort auf all diese Fragen ist natürlich „Nein“.
Wenn ein „Nein“ in dir aber ein ungutes Gefühl auslöst, solltest du mal darüber nachdenken, woher das kommt und ob du diese Gedanken vielleicht Schritt für Schritt ablegen kannst.
Nein sagen lernen
Wenn du es dann auch noch schaffst, im wahren Leben Nein zu sagen, ist viel gewonnen. Indem du Aufgaben abgibst, Erwartungen hinterfragst und erkennst, dass es niemandem hilft, wenn du dich aufopferst fühlt es sich plötzlich so an, als hättest du mehr Zeit. Nicht weil deine Tage plötzlich mehr Stunden haben, sondern weil du deine Zeit anders nutzt.
Keine Zeit für Ordnung ist nicht das Problem
Die wichtigste Erkenntnis ist also: Keine Zeit für Ordnung ist selten ein echtes Zeitproblem. Es ist ein Problem der Prioritäten, der Verteilung von Verantwortung und der eigenen Erwartungen. Sobald du das erkennst, kannst du deine Zeit aktiv gestalten – und plötzlich wird Raum für die Dinge entstehen, die dir wirklich wichtig sind.
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